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Abdu'l-Baha : DER WELTFRIEDENSVERTRAG
Abdu'l-Bahá - DER WELTFRIEDENSVERTRAG

_______________________________________________________________________________

Ein Brief an die Zentralorganisation im Haag für einen dauernden Frieden

Bibliographie :

Abdu'l-Bahá: Der Weltfriedensvertrag, Bahá'í-Verlag Langenhain1988

Abdu'l-Bahá: An die Zentralorganisation für einen dauerhaften Frieden, Bahá'í-Verlag Langenhain 1968

Abdu'l-Bahá: Briefe und Botschaften Kap.1 Kap.227 Kap.228

Star Of West: Vol.11 Nr.8 , Vol.11 Nr.17
Inhalt

1. Abdu'l-Bahás Tablet an die Zentralorganisation in Den Haag

2. Ein von Abdu'l-Bahá Seinem Tablet beigefügtes Sendschreiben

3. Zweites Tablet von Abdu'l-Bahá an das Friedens-Kommittee in Den Haag

4. Abdu'l-Bahás Schreiben an den Überbringer der Tablets

5. Einige Erläuterungen zum historischen Hintergrund (Ulrich Gollmer)

Tablet an die Zentralorganisation in Den Haag
+1:1
O ihr Hochgeehrten,

die ihr Pioniere seid unter den Wohltätern der Menschenwelt!¹

¹ Dies ist der erste Teil der Antwort Abdu'l-Bahás auf einen Brief, den der Exekutiv-Ausschuß der Zentralorganisation für einen dauernden Frieden, eine private, 1915 im Haag gegründete Initiative engagierter Friedensfreunde, an Ihn gerichtet hatte. Abdu'l-Bahás Brief vom 17. Dezember 1919, den Shoghi Effendi als ein "Sendschreiben von weittragender Bedeutung" bezeichnet (Gott geht vorüber, 1974-131, S. 350), wurde 1920 von einer besonderen Bahá'í-Delegation im Haag übergeben. Vgl. Abdu'l-Bahá, Der Weltfriedens-Vertrag. Ein Brief an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden, Hofheim-Langenhain 1988-145.

+1:2

Die Briefe, die ihr während des Kriegs abgesandt habt, sind nicht eingetroffen, aber ein Brief vom 11. Februar 1916 hat mich soeben erreicht, und darauf folgt sofort eine Antwort. Eure Absicht verdient tausendfältiges Lob; denn ihr dient der Menschenwelt, und dies führt zu aller Glück und Wohlergehen. Dieser letzte Krieg hat der Welt und dem Volk bewiesen, daß Krieg Vernichtung ist, Weltfrieden dagegen Aufbau. Krieg ist Tod, Frieden hingegen Leben. Krieg ist Raubsucht und Blutgier, Frieden indessen Wohltat und Menschlichkeit; Krieg gehört der Welt der Natur an, Frieden aber zur Grundlage der Religion Gottes; Krieg ist Finsternis über Finsternis, während Frieden himmlisches Licht ist; Krieg zerstört den Bau der Menschheit, während Frieden der Menschenwelt ewiges Leben ist; Krieg ist wie ein reißender Wolf, Frieden aber den Engeln des Himmels gleich; Krieg ist Kampf ums Dasein, während Frieden gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit unter den Völkern der Welt ist und das Wohlgefallen des Einen Wahren im himmlischen Reiche herbeiführt.

+1:3

Es gibt keine Seele, deren Gewissen nicht bezeugte, daß es heutigen Tages nichts Wichtigeres auf der Welt gibt als den Weltfrieden. Jeder Gerechte bestätigt dies und bewundert jene geehrte Versammlung; denn sie verfolgt das Ziel, diese Finsternis in Licht, diesen Blutdurst in Güte, diese Folter in Wonne, diese Mühsal in Behagen und diese Feindschaft, diesen Haß in Freundschaft und Liebe zu verwandeln. Daher ist die Bemühung jener geachteten Seelen des Preises und des Lobes wert.

+1:4

Der wesenhaften Beziehungen gewahr, die von den Wirklichkeiten der Dinge ausgehen, bedenken weise Seelen jedoch, daß eine einzelne Sache für sich die menschliche Wirklichkeit nicht so beeinflussen kann, wie es sein sollte und müßte; denn ehe die Menschen in ihrer Gesinnung geeinigt werden, läßt sich nichts Wichtiges bewerkstelligen. Heute ist der Weltfriede von großer Bedeutung, aber die Einheit des Gewissens ist dabei wesentlich, auf daß seine Grundlage gesichert, sein Gefüge fest und sein Bau stark sei.

+1:5

Darum erläuterte Bahá'u'lláh vor fünfzig Jahren die Frage des Weltfriedens zu einer Zeit, als Er in der Festung Akká in strenger Haft Unrecht erduldete und eingekerkert war. Er schrieb über diese wichtige Angelegenheit, den Weltfrieden, an alle großen Herrscher der Welt und verwirklichte ihn im Kreise Seiner Freunde im Orient. Des Ostens Horizont war in tiefes Dunkel gehüllt, die Völker standen sich in Haß und Feindschaft gegenüber, die religiösen Gruppen lechzten nach dem Blut der anderen - es herrschte Finsternis über Finsternis. Zu solcher Zeit erstrahlte Bahá'u'lláh der Sonne gleich vom Horizont des Ostens und erhellte Persien mit dem Licht dieser Lehren.

+1:6

Eine Seiner Lehren war die Erklärung des Weltfriedens. Menschen verschiedener Völker, Religionen und Sekten, die Ihm nachfolgten, kamen sich derart nahe, daß bemerkenswerte Versammlungen zustande kamen, die aus den verschiedenen Völkern und Religionen des Ostens zusammengesetzt waren. Wer solche Versammlungen besuchte, sah nur ein Volk, eine Lehre, einen Pfad, eine Ordnung; denn Bahá'u'lláhs Lehren waren ja nicht auf die Errichtung des Weltfriedens beschränkt; sie umfaßten vielmehr viele Lehren, welche die des Weltfriedens ergänzten und stützten.

+1:7

Eine dieser Lehren ist das selbständige Erforschen der Wirklichkeit, so daß die Menschenwelt aus dem Dunkel der Nachahmung errettet werde und zur Wahrheit gelange, daß sie das zerlumpte, abgetragene Kleid von vor tausend Jahren abreiße und wegwerfe und ein Gewand anlege, welches in höchster Reinheit und Heiligkeit auf dem Webstuhl der Wirklichkeit gewoben ist. Da die Wirklichkeit nur eine ist und Vieldeutigkeit nicht zulassen kann, müssen unterschiedliche Ansichten schließlich in einer aufgehen.

+1:8

Eine der Lehren Bahá'u'lláhs ist die Einheit der Menschenwelt. Alle Menschen sind Gottes Schafe, und Er ist der gütige Hirte. Dieser Hirte ist gut zu allen Schafen, denn Er schuf sie alle, erzog sie, sorgte für sie und beschützte sie. Es besteht also kein Zweifel, daß der Hirte gütig zu allen Schafen ist; sind Unwissende darunter, so müssen sie belehrt werden; sind Kinder darunter, so müssen sie erzogen werden, bis sie die Reife erlangen; sind Kranke darunter, so müssen sie geheilt werden. Haß und Feindschaft darf es nicht geben. Wie von einem gütigen Arzt müssen diese Unwissenden, diese Kranken behandelt werden.

+1:9

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist, daß Religion zu Freundschaft und Liebe führen muß. Bewirkt sie Entfremdung, dann bedarf man ihrer nicht; denn Religion ist wie eine Arznei: Verschlimmert sie das Leiden, dann wird sie unnötig.

+1:10

Unter Bahá'u'lláhs Lehren finden wir ferner, daß Religion mit Wissenschaft und Vernunft in Einklang sein muß, so daß sie auf die Menschenherzen wirkt. Die Grundlage muß festgefügt sein und darf nicht auf Nachahmung beruhen.

+1:11

Eine andere Lehre Bahá'u'lláhs ist, daß religiöse, rassische, politische, wirtschaftliche und vaterländische Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile herrschen, wird die Menschenwelt keine Ruhe finden. Über einen Zeitraum von 6000 Jahren berichtet uns die Weltgeschichte. Während dieser 6000 Jahre war die Menschenwelt nie frei von Krieg, Streit, Mord und Blutgier. Zu jeder Zeit wurde in diesem oder jenem Land Krieg geführt; der Krieg entstand entweder aus religiösem Vorurteil oder aus rassischem Vorurteil, aus politischem Vorurteil oder aus vaterländischem Vorurteil. So ist gesichert und erwiesen, daß alle Vorurteile den Bau der Menschheit zerstören. Solange diese Vorurteile weiterbestehen, muß der Kampf ums Dasein vorherrschen, müssen Blutdurst und Raubgier fortdauern. Deshalb kann die Menschheit, wie in der Vergangenheit so auch heute, nur dann aus der Finsternis der Erdgebundenheit errettet werden und Erleuchtung empfangen, wenn sie Vorurteile ablegt und die Tugenden des Gottesreiches erwirbt.

+1:12

Gehen Vorurteile und Feindseligkeiten auf das Konto der Religion, so bedenkt, daß die Religion zu Freundschaft führen muß; andernfalls ist sie unnütz. Und ist das Vorurteil nationaler Art, so bedenkt, daß alle Menschen einer Nation angehören. Alle sind dem Baume Adams entsprossen; Adam ist die Wurzel des Baumes. Der Baum ist einer, alle Völker sind wie Äste, während die einzelnen Menschen den Blättern, Blüten und Früchten daran gleichen. So sind die Bildung verschiedener Nationen und in der Folge alles Blutvergießen und alle Zerstörung am Bau der Menschheit nur menschlicher Unwissenheit und eigennützigen Beweggründen entsprungen.

+1:13

Was das vaterländische Vorurteil betrifft, so entstammt auch dieses völliger Unwissenheit, denn die Erdoberfläche ist ein Heimatland. Jeder Mensch kann an jedem beliebigen Ort des Erdballs leben. Darum ist die ganze Welt des Menschen Vaterstadt. Grenzlinien und Grenzübergänge wurden durch den Menschen ersonnen. In der Schöpfung sind keine solchen Grenzen und Hoheitsgebiete festgeschrieben. Europa ist ein Erdteil, Asien ist ein Erdteil, Afrika ist ein Erdteil, Australien ist ein Erdteil, aber einige Seelen haben aus persönlichen Beweggründen, aus Eigennutz, jeden dieser Erdteile zerteilt und einen bestimmten Teil als ihr eigenes Land betrachtet. Gott hat keine Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland gezogen: Sie gehen ineinander über. Fürwahr, in den ersten Jahrhunderten haben selbstsüchtige Seelen um ihrer eigenen Vorteile willen Grenzen und Übergänge geschaffen und ihnen Tag für Tag mehr Gewicht beigelegt, bis dies schließlich in den späteren Jahrhunderten zu heftiger Feindschaft, zu Blutvergießen und Raubgier führte. So wird es unaufhörlich weitergehen, und wenn der Gedanke der Vaterlandsliebe auf einen engen Kreis beschränkt bleibt, wird er die Hauptursache der Weltzerstörung sein. Kein kluger, gerechter Mensch wird diese eingebildeten Unterscheidungen anerkennen. Eine begrenzte Fläche, welche wir unser Vaterland nennen, betrachten wir als unsere Heimat, wo doch der ganze Erdball, nicht eine begrenzte Fläche, die Heimat aller ist. Kurz gesagt: Nur wenige Tage leben wir auf dieser Erde; schließlich werden wir darin bestattet, sie ist unser ewiges Grab. Ist dieses ewige Grab es wert, daß wir Menschenblut vergießen und einander in Stücke reißen? Nein, keineswegs: Weder ist Gott erfreut über ein solches Verhalten, noch kann es ein klar denkender Mensch gutheißen.

+1:14

Überlegt: Die glückseligen Tiere lassen sich nie in einen vaterländischen Streit ein, sie leben in bester Kameradschaft einmütig miteinander. Kommen zum Beispiel eine Taube aus dem Osten, eine Taube aus dem Westen, eine Taube aus dem Norden und eine Taube aus dem Süden zufällig zur gleichen Zeit an einem Platze zusammen, so gesellen sie sich alsbald einträchtig zueinander. So ist es bei allen glückseligen Tieren und Vögeln. Die Raubtiere aber greifen sich an, sobald sie sich treffen, kämpfen miteinander und reißen sich in Stücke. Es ist ihnen unmöglich, friedlich am selben Ort zusammenzuleben. Sie sind alle ungesellig, grausam, wild und kampflustig.

+1:15

Betrachtet man das wirtschaftliche Vorurteil, so tritt klar zu Tage, daß dann, wenn man die Verbindungen zwischen den Völkern festigt und den Warenaustausch beschleunigt, jedes wirschaftliche Prinzip, das man in einem Land durchsetzt, schließlich die anderen Länder beeinflußt und allgemeinen Nutzen stiftet. Wozu also dieses Vorurteil?

Was nun das politische Vorurteil betrifft, so muß Gottes Politik befolgt werden, und es ist unbestreitbar, daß Gottes Politik größer ist denn menschliche Politik. Wir müssen der göttlichen Politik folgen, sie gilt gleichermaßen für alle. Gott behandelt alle Menschen gleich: Kein Unterschied wird gemacht. Dies ist die Grundlage der göttlichen Religionen.

+1:16

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist die Schaffung einer Sprache, die weltweit im Volk verbreitet werden kann. Die Feder Bahá'u'lláhs offenbarte diese Lehre, damit die Weltsprache Mißverständnisse zwischen den Menschen beseitige.

+1:17

Eine Lehre Bahá'u'lláhs ist ferner die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Die Menschenwelt hat zwei Flügel: Den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Nur wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich. Erst wenn die Frauenwelt der Männerwelt beim Erwerb von Tugenden und Vollkommenheiten gleichberechtigt ist, können Erfolg und Gedeihen so erreicht werden, wie es sein soll.

+1:18

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist das freiwillige Teilen des Eigentums mit anderen. Dieses freiwillige Teilen übertrifft die Gleichberechtigung; es bedeutet, daß der Mensch sich selbst nicht anderen vorziehen, vielmehr sein Leben und sein Eigentum für andere opfern soll. Dies soll aber nicht zwangsweise eingeführt und ein Gesetz werden, das der Mensch gezwungenermaßen befolgen muß. Im Gegenteil, der Mensch sollte aus freiem Antrieb, auf selbstgewähltem Opfergang, Eigentum und Leben für andere hingeben und willig den Armen spenden, wie es in Persien unter den Bahá'í geschieht.

+1:19

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist des Menschen Freiheit: Durch die geistige Macht soll er frei werden und sich der Verhaftung in der natürlichen Welt entledigen. Denn solange der Mensch in der Natur gefangen liegt, ist er ein Raubtier, da der Kampf ums Dasein zu den Bedürfnissen der Naturwelt gehört. Dieser Kampf ums Dasein ist der Ursprung allen Elends und die höchste Not.

+1:20

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs besagt, daß die Religion ein mächtiges Bollwerk ist. Wenn das Gebäude der Religion erzittert und schwankt, folgen Aufruhr und Chaos, und die Ordnung der Dinge wird völlig umgestürzt; denn in der Menschenwelt gibt es zwei Wächter, die den Menschen vor dem Unrechttun bewahren: Der eine ist das Gesetz, das den Verbrecher bestraft; aber das Gesetz verhindert nur das offenkundige Verbrechen, nicht jedoch die geheime Sünde. Hingegen verhütet der ideale Wächter, die Religion Gottes, sowohl das offenkundige wie das geheime Verbrechen. Er erzieht den Menschen, entwickelt Sittlichkeit, nötigt zur Tugend und ist die allumfassende Macht, die für das Glück der Menschenwelt die Gewähr bietet. Unter Religion aber ist das zu verstehen, was durch Nachforschung gesichert ist, nicht was lediglich auf Nachahmung beruht - also die Grundlagen der göttlichen Religionen, nicht menschliche Nachahmungen.

+1:21

Zu den Lehren Bahá'u'lláhs gehört ferner, daß die materielle Zivilisation zwar ein Mittel zum Fortschritt der Menschenwelt ist, daß jedoch der gewünschte Erfolg - das Glück der Menschheit - erst dann zu erreichen ist, wenn die materielle Zivilisation mit der göttlichen Kultur vereinigt wird. Bedenkt! Diese Schlachtschiffe, welche eine Stadt innerhalb einer Stunde in ein Trümmerfeld verwandeln, sind das Ergebnis der materiellen Zivilisation; ebenso die Kruppkanonen, die Mausergewehre, das Dynamit, die Unterseeboote, die Torpedoboote, die Jagdflieger und Bomber. Alle diese Kriegswerkzeuge sind die bösen Früchte der materiellen Zivilisation. Wäre die materielle Zivilisation mit der göttlichen Kultur verbunden worden, so hätte man diese fürchterlichen Waffen niemals erfunden. Im Gegenteil, die menschliche Tatkraft hätte sich ganz und gar nützlichen Erfindungen zugewandt und auf rühmliche Entdeckungen konzentriert. Die materielle Zivilisation ist wie das Glas um die Lampe, die göttliche Kultur ist die Lampe selbst. Das Glas ohne Licht ist dunkel. Die materielle Zivilisation ist wie der Leib. Sei er auch noch so anmutig, elegant und schön, so ist er dennoch tot. Die göttliche Kultur ist wie der Geist; der Leib erhält sein Leben durch den Geist, sonst ist er ein Leichnam. So ist es klar, daß die Menschenwelt den Odem des Heiligen Geistes braucht. Ohne den Geist ist die Menschenwelt leblos; ohne dieses Licht verbleibt die Menschenwelt in tiefster Finsternis. Denn die Naturwelt ist eine tierische Welt. Ehe der Mensch wiedergeboren wird aus der Welt der Natur, das heißt, ehe er sich von der Naturwelt loslöst, ist er seinem Wesen nach ein Tier, und es sind die Lehren Gottes, die dieses Tier in eine menschliche Seele umwandeln.

+1:22

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs ist die Förderung der Erziehung. Jedes Kind muß im erforderlichen Umfang in den Wissenschaften unterrichtet werden. Sofern die Eltern nicht in der Lage sind, die Erziehungskosten zu tragen, muß die Gemeinde die Mittel für den Unterricht des Kindes aufbringen.

+1:23

Eine weitere Lehre Bahá'u'lláhs handelt von Recht und Gerechtigkeit. Ehe nicht Recht und Gerechtigkeit auf der Ebene des Daseins verwirklicht sind, werden alle Dinge in Unordnung sein und unvollkommen bleiben. Die Menschenwelt ist dann eine Welt der Unterdrückung und der Grausamkeit, ein Reich der Aggression und des Irrtums.

+1:24

Kurz, es gibt viele Lehren dieser Art. Diese mannigfaltigen Prinzipien - die mächtigste Grundlage für der Menschen Glück, eine Gnadengabe des Barmherzigen - müssen die Sache des Weltfriedens ergänzen und damit verbunden werden, so daß Erfolge eintreten. Auf andere Art ist der Weltfrieden unter der Menschheit nur schwer zu verwirklichen. So wie Bahá'u'lláhs Lehren mit dem Weltfrieden verknüpft sind, gleichen sie einer Tafel mit frischen, köstlichen Speisen aller Art. An dieser Tafel unermeßlicher Gaben kann jede Seele finden, was sie ersehnt. Bleibt aber die Frage allein auf den Weltfrieden beschränkt, so sind die herausragenden Erfolge, die man erwartet und erhofft, nicht zu erzielen. Die Perspektive des Weltfriedens muß so sein, daß alle Gemeinschaften und Religionen ihre höchste Sehnsucht darin verwirklicht finden. Bahá'u'lláhs Lehren sind so beschaffen, daß alle Gemeinschaften der Welt, religiöse, politische oder ethische, althergebrachte oder neuzeitliche, den Ausdruck ihrer höchsten Wünsche darin finden.

+1:25
+1:26

Zum Beispiel finden die Gläubigen der Religionen in Bahá'u'lláhs Lehren die Begründung der allumfassenden Religion, einer Religion, die vollkommen auf die gegenwärtigen Verhältnisse paßt, echte, rasche Heilung der unheilbaren Krankheit schafft, alle SchMirzan stillt und das unfehlbare Gegenmittel für jedes tödliche Gift bietet. Denn wollten wir die Menschenwelt nach derzeit herrschenden religiösen Nachahmungen einrichten und organisieren, wollten wir darauf der Menschheit Glück aufbauen, so wäre dies unmöglich und undurchführbar. Zum Beispiel wäre es unmöglich, die Gesetze der Thora und der anderen Religionen so durchzuführen, wie es heutiger Nachahmung entspricht. Den Wesensgrund aller göttlichen Religionen aber, der auf die Tugenden der Menschenwelt gerichtet ist und ihrer Wohlfahrt zugrundeliegt, findet man in den Lehren Bahá'u'lláhs in der vollkommensten Darstellung.

+1:27

Ähnlich steht es um die Menschen, die nach Freiheit schreien. Die gemäßigte Freiheit, welche die Gewähr für die Wohlfahrt der Menschheit bietet und allumfassende Beziehungen aufrechterhält, findet ihre kraftvolle Ausprägung in den Lehren Bahá'u'lláhs.

+1:28

So ist es auch bei den politischen Parteien: Die höchste Staatskunst, die Menschenwelt zu lenken, ja die Göttliche Politik findet sich in den Lehren Bahá'u'lláhs.

+1:29

Desgleichen die Partei der "Gleichheit", welche die Wirtschaftsprobleme zu lösen sucht: Bis heute haben sich alle vorgeschlagenen Lösungen als undurchführbar erwiesen, außer den wirtschaftlichen Vorschlägen in den Lehren Bahá'u'lláhs, die durchführbar sind und der Gesellschaft nicht schaden.

+1:30

Und so ist es auch mit anderen Interessengruppen. Wenn ihr euch in die Sache vertieft, werdet ihr die höchsten Ziele dieser Parteien in Bahá'u'lláhs Lehren finden. Diese Lehren bilden die allumschließende Macht unter den Menschen und sind durchführbar. Es gibt aber manche Lehren aus der Vergangenheit wie die aus der Thora, die heute nicht mehr anwendbar sind. Das gleiche gilt von den anderen Religionen sowie den Lehrsätzen der verschiedenen Sekten und Parteien.

+1:31

Zum Beispiel sagte Bahá'u'lláh über den Weltfrieden, daß der Höchste Gerichtshof begründet werden muß. Obgleich der Völkerbund geschaffen worden ist, ist er doch unfähig, den Weltfrieden zu errichten. Der Höchste Gerichtshof aber, den Bahá'u'lláh beschrieben hat, wird diese heilige Aufgabe mit größter Macht und Kraft erfüllen. Sein Plan geht dahin, daß die Nationalversammlungen jedes Landes und jeder Nation, das heißt, die Parlamente, zwei oder drei Personen auswählen, die Edelsten ihres Volkes, Kenner des internationalen Rechts sowie der internationalen Beziehungen, dazuhin vertraut mit den wesentlichen Bedürfnissen der heutigen Menschheit. Die Zahl dieser Abgeordneten sollte im Verhältnis zu der Bevölkerungszahl des Landes stehen. Die Wahl dieser Seelen durch die Nationalversammlung, das heißt, durch das Parlament, ist vom Oberhaus, vom Kongreß, vom Kabinett und ebenso vom Präsidenten oder Monarchen zu bestätigen, damit diese Persönlichkeiten die Gewählten des ganzen Volkes und der Regierung sind. Aus diesem Personenkreis wird sich der Höchste Gerichtshof zusammensetzen. Die ganze Menschheit hat somit Anteil daran; denn jeder Abgeordnete vertritt die ganze Nation. Wenn der Höchste Gerichtshof zu einer internationalen Frage ein Urteil fällt, entweder einmütig oder durch Mehrheitsbeschluß, so gibt es keinen Einwand mehr für den Kläger und keine Ausflucht für den Beklagten. Falls eine Regierung oder Nation die endgültige Entscheidung des Höchsten Gerichtshofs mißachtet oder die Ausführung verschleppt, werden die übrigen Nationen dagegen auftreten; denn alle Regierungen und Nationen der Welt sind die Stützen dieses Höchsten Gerichtshofs. Überlegt, wie fest diese Grundlage ist! Ein beschränkter, eingeengter Bund jedoch erfüllt den Zweck nicht angemessen. Dies ist die Wahrheit über die erwähnte Lage.

+1:32

Bedenkt, wie machtvoll Bahá'u'lláhs Lehren sind! Als Bahá'u'lláh im Gefängnis von Akká war und unter den Beschränkungen und Drohungen zweier blutdürstiger Könige stand, verbreiteten sich Seine Lehren dennoch mit aller Macht im Iran und in anderen Ländern. Wird sonst eine Lehre, ein Prinzip oder eine Gemeinschaft von einem mächtigen, blutdürstigen Monarchen bedroht, so wird sie in kürzester Zeit zunichte. Heute sind es fünfzig Jahre, daß die Bahá'í im Iran und in vielen anderen Gebieten weitreichenden Beschränkungen und der Bedrohung durch Schwert und Speer unterworfen sind. Tausende haben ihr Leben auf der Opferstätte hingegeben, Tausende sind als Märtyrer unter dem Schwert grausamer Unterdrückung gefallen. Tausende von angesehenen Familien wurden entwurzelt und zerstört. Tausende von Kindern wurden elternlos. Tausende von Vätern wurden ihrer Söhne beraubt. Tausende von Müttern weinten und klagten um ihre enthaupteten Kinder. Alle Unterdrückung und Grausamkeit, alle Raubgier und aller Blutdurst konnten die Ausbreitung der Lehren Bahá'u'lláhs nicht verhindern. Sie verbreiteten sich Tag für Tag; ihre Kraft und Macht wurden immer deutlicher.

+1:33

Es mag sein, daß irgendeine törichte Person unter den Personen ihren Namen dem Inhalt der Sendschreiben Bahá'u'lláhs anhängen wird oder auch den Erklärungen in den Briefen Abdu'l-Bahás beifügt und sie an diesen geschätzten Gerichtshof sendet. Ihr müßt auf diese tatsache achten, denn irgendein Perser, der Ruhm sucht oder andere Absichten hegt, wird den vollen Inhalt der Sendschreiben Bahá'u'lláhs benützen und diesen unter seinem eigenen Namen oder im Namen seiner Gemeinschaft veröffentlichen, so wie es sich auf dem Universalen Rassenkongreß in London vor dem Krieg zugetragen hat. Ein Perser entnahm den Inhalt der Sendschreiben Bahá'u'lláhs, betrat den Kongreß, gab ihn mit seinem eigenen Namen kund und veröffentlichte ihn, während der Wortlaut genau von Bahá'u'lláh stammte. Einige dieser Leute fuhren nach Europa, brachten Verwirrung unter die Völker Europas und führten die Gedanken einiger Orientalisten in die Irre. Ihr müßt diese Tatsache wohl bedenken, denn nicht ein Wort dieser Lehren war in Persien vor dem Erscheinen Bahá'u'lláhs jemals gehört worden. Untersucht diese Angelegenheit, damit sie für euch erwiesen und offenbar werde! Es gibt Menschen, die wie Papageien sind; sie lernen das Neue, das sie hören, und sprechen es nach; sie sind sich aber dessen nicht bewußt, was sie reden. Es gibt gegenwärtig in Persien eine Sekte von einigen wenigen Menschen, die sich Bábí nennen. Sie behaupten, Nachfolger des Báb zu sein, obwohl sie sich über Seine Heiligkeit völlig im unklaren sind. Sie haben etliche Geheimlehren, die in vollem Widerspruch zu den Lehren Bahá'u'lláhs stehen, und in Persien wissen dies die Leute. Wenn diese Menschen aber nach Europa kommen, verheimlichen sie ihre eigenen Lehren und verkünden die von Bahá'u'lláh. Sie wissen, daß die Lehren Bahá'u'lláhs mächtig sind, und deshalb erklären sie auch öffentlich jene Lehren Bahá'u'lláhs als ihre eigenen. Was ihre Geheimlehren betrifft, so sagen sie, daß diese dem Bayán entnommen sind, aber das Buch Bayán hat der Báb verfaßt. Wenn ihr die Übersetzung des Bayán studiert, die in Persien angefertigt wurde, so werdet ihr die Wahrheit entdecken, daß die Lehren Bahá'u'lláhs völlig im Gegensatz zu den Lehren jener Sekte stehen. Hütet euch, diese Tatsache zu mißachten! Solltet ihr in dieser Sache weiter nachforschen wollen, so fragt danach in Persien selbst.

+1:34

Kurz, wenn man durch die ganze Welt reist, und sich irgendwo etwas im Aufbau befindet, dann ist dies das Ergebnis von Freundschaft und Liebe, wohingegen alles, was im Niedergang begriffen ist, die Auswirkung von Feindschaft und Haß zeigt. Dessen ungeachtet ist sich die Menschheit dessen noch nicht bewußt geworden und noch nicht aus dem Schlafe der Achtlosigkeit erwacht. Wieder und wieder läßt sie sich in Streitigkeiten ein, in Wortgefechte und Zank, so daß daraus Fronten entstehen, die sie da und dort auf das Feld der Kämpfe und Kriege führen.

+1:35

So ist es hinsichtlich des Weltalls und seiner Zerstörung, seines Bestehens und seines Nichtbestehens. Jedes mögliche Ding ist aus verschiedenen und zahlreichen Elementen gebildet; das Dasein jedes Dings ist das Ergebnis einer Zusammensetzung. Das heißt, wenn einfache Elemente zusammengesetzt werden, entsteht daraus etwas Neues. Die Schöpfung der Dinge geschieht auf diese Weise. Wenn diese Zusammensetzung gestört wird, folgt die Auflösung: Die Elemente zerfallen, dieses Sein wird vernichtet. Das heißt, jede Vernichtung beruht auf der Auflösung und Trennung der Elemente. Somit führt jede Zusammensetzung von Elementen zum Leben, jede Auflösung und Trennung zum Tod. Kurz, Anziehungskraft und Einklang der Dinge lassen Früchte und nützliche Ergebnisse entstehen, während Abstoßung und fehlende Harmonie zwischen den Dingen Verwirrung und Vernichtung bewirken. Alle lebendigen Geschöpfe, die Pflanze, das Tier und der Mensch, entstehen durch Einklang und Anziehung; durch Unvereinbarkeit und Abstoßung setzen Verfall und Vernichtung ein. Was unter den Menschen Einklang, Anziehung und Vereinigung verursacht, ist Leben für die Menschenwelt; was hingegen Gegensätze, Abstoßung und Trennung bewirkt, führt die Menschheit zum Tode.

+1:36

Geht ihr an einem Garten vorüber, darinnen Gemüsebeete und Pflanzen, Blumen und duftende Kräuter so stehen, daß sie ein harmonisches Ganzes bilden, so ist dies ein Beweis dafür, daß diese Anlage und dieser Rosengarten von einem vollkommenen Gärtner gepflegt und angeordnet sind. Seht ihr jedoch einen Garten in Unordnung, schlecht angelegt und wild wuchernd, dann zeigt dies, daß er der Sorgfalt eines geschickten Gärtners ermangelt und nur ein Haufen Unkraut ist. So wird verstehbar, daß Gemeinschaftsgeist und Harmonie auf die Ausbildung durch den wahren Erzieher hinweisen, Trennung und Vereinzelung hingegen auf Verwilderung und den Mangel an göttlicher Erziehung.

+1:37

Sollte jemand einwerfen, es sei unmöglich, eine ideale Einheit zu schaffen und eine völlige Einigung unter den Menschen zu verwirklichen, da die Gemeinschaften und Nationen, die Rassen und Völker dieser Welt in Förmlichkeiten und Gebräuchen, Geschmack und Temperament, Moral, Gedanken, Ansichten und Meinungen verschieden seien, so weisen wir darauf hin, daß diese Verschiedenheiten von zweierlei Art sind. Die eine führt zur Zerstörung; sie entspricht dem Streit zwischen kriegführenden Völkern und wetteifernden Nationen, die sich gegenseitig zerstören, Familien ausrotten, sich aller Ruhe und allen Wohlergehens berauben und in Blutvergießen und Roheit versinken. Dies ist tadelnswert. Die andere Art von Verschiedenheit ist Mannigfaltigkeit. Sie ist reine Vollkommenheit und läßt göttliche Gnade erscheinen. Betrachtet die Blumen eines Gartens. Obgleich sie verschiedener Art, Farbe, Form und Erscheinung sind, trinken sie doch dasselbe Wasser, werden vom gleichen Windhauch berührt und wachsen durch die Wärme und das Licht derselben Sonne; diese Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit führen jedoch dazu, daß jede die Schönheit und Herrlichkeit der anderen steigert. Der Unterschied in den Sitten und Gebräuchen, Gewohnheiten und Gedanken, Ansichten und Temperamenten ist eine Zier für die Menschenwelt. Er ist lobenswert. So führen diese Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit wie die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Organe und Glieder des menschlichen Körpers zu Schönheit und Vollkommenheit. Da diese verschiedenen Teile und Glieder unter der Kontrolle des allbeherrschenden Geistes stehen, da der Geist alle Organe und Glieder durchdringt und über alle Arterien und Venen Gewalt hat, stärken Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit die Liebe und Harmonie, und diese Vielfalt ist die größte Hilfe für die Einheit. Wären in einem Garten die Blumen und duftenden Kräuter, die Blüten und Früchte, die Blätter, Zweige und Bäume alle von einer Art, einer Form, einer Farbe und einer Anordnung, so gäbe es keine Schönheit oder Lieblichkeit, wenn aber Mannigfaltigkeit herrscht, wird jedes zur Schönheit und Anmut der anderen beitragen, wird den Garten bewunderungswürdig machen und selbst lieblich, süß und frisch dastehen.

+1:38

So ist es auch in der Menschenwelt: Wenn ihre verschiedenen, mannigfaltigen Gedanken, Formen, Meinungen, Charakterzüge und Sitten unter die Kontrolle einer höchsten Macht, unter den Einfluß des einen wahren Gotteswortes geraten, dann zeigen und entfalten sie sich in vollkommenster Herrlichkeit, Schönheit und Erhabenheit.

+1:39

Heute kann allein die Macht des Wortes Gottes, das die Wirklichkeit aller Dinge umschließt, die Gedanken, Gemüter, Herzen und Geister im Schatten des einen Baumes versammeln. Er ist der Mächtige in allen Dingen, der Beleber der Seelen, der Erhalter und Beherrscher der Menschenwelt. Gelobt sei Gott! An diesem Tag leuchtet das Licht des Wortes Gottes über alle Länder. Von allen Sekten, Gemeinschaften, Nationen, Stämmen, Völkern, Religionen und Bekenntnissen finden sich Menschen im Schatten des Wortes der Einheit.

Dem Tablet an die Zentralorganisation beigefügtes Sendschreiben

¹ Von Abdu'l-Bahá während des Ersten Weltkrieges niedergeschrieben und dem Sendbrief an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden im Haag beigefügt. Vgl Briefe und Botschaften Kap. 1/1 bis 1/7

+2:1

O Völker der Erde! Die Sonne der Wahrheit ist aufgegangen, um die ganze Welt zu erleuchten und die Gesellschaft der Menschen zu vergeistigen. Lobenswert sind die Ergebnisse und Früchte, reichhaltig die heiligen Beweise, die aus dieser Gnade fließen. Dies bedeutet echte Barmherzigkeit und reinste Großmut, Licht für die Welt und alle ihre Völker, Harmonie und Brüderlichkeit, Liebe und Solidarität; ja, es bedeutet Mitleid und Einigkeit und das Ende von Entfremdung, es bedeutet, eins zu sein mit allen auf Erden in vollkommener Würde und Freiheit.

+2:2

Die Gesegnete Schönheit spricht: "Ihr seid alle die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges." Er hat diese Welt des Seins mit einem einzigen Baum verglichen und alle ihre Völker mit dessen Blättern, Blüten und Früchten. Der Zweig muß zum Blühen kommen, Blatt und Frucht müssen wachsen; und das Gedeihen von Blatt und Blüte und die Süße der Frucht hängen von der innigen Verbundenheit aller Teile des Weltenbaumes ab.

+2:3

Deshalb müssen alle Menschen sich gegenseitig äußerst wirksam unterstützen und nach dem ewigen Leben trachten; und aus demselben Grunde müssen die, die Gott lieben, in dieser Welt des Zufalls zu Gnadengaben und Segnungen werden, die durch den milden König der sichtbaren und unsichtbaren Reiche ausgestrahlt wurden. Sie sollten ihren Blick läutern und die ganze Menschheit als Blätter, Blüten und Früchte am Baume des Seins erkennen. Sie sollten zu allen Zeiten danach trachten, eine gute Tat für einen Mitmenschen zu tun und ihm Liebe, Beachtung und fürsorgliche Hilfe zu erweisen. Niemanden sollten sie als ihren Feind betrachten noch jemandem etwas Böses wünschen, sondern in jedem Menschen den Freund sehen, den Fremden als Vertrauten, den Unbekannten als Weggefährten betrachten, frei von Vorurteil und ohne Grenzen.

+2:4

Heute ist der ein Begünstigter an der Schwelle des Herrn, der den Becher der Treue weiterreicht, der den Edelstein der Freigebigkeit sogar seinen Feinden gewährt und selbst seinem gefallenen Unterdrücker eine helfende Hand reicht. Er ist selbst seinem erbittertsten Feind ein liebevoller Freund. Dies sind die Lehren der Gesegneten Schönheit, dies die Ratschläge des Größten Namens.

+2:5

O ihr geliebten Freunde! In der Welt herrscht Krieg, und das Menschengeschlecht liegt in Wehen und tödlichem Kampf. Die finstere Nacht des Hasses hat die Überhand gewonnen, und das Licht der Vertrauenswürdigkeit ist erloschen. Die Völker und Geschlechter der Erde haben ihre Klauen geschärft und stürzen sich im Kampf aufeinander. Die Menschheit zerstört ihre eigenen Lebensgrundlagen. Tausende von Familien sind ihrer Habe beraubt und irren umher, und jedes Jahr sieht Tausende und Abertausende von Menschen sich auf staubigen Schlachtfeldern in ihrem Blute wälzen. Die Zelte des Lebens und der Freude sind abgebrochen. Generäle üben sich in ihrer Feldherrnkunst, rühmen sich des Blutes, das sie vergießen, und wetteifern miteinander im Anstacheln zu Gewalttaten. "Mit diesem Schwert", sagt einer von ihnen, "habe ich ein Volk enthauptet!" Und ein anderer sagt: "Ich stürzte eine Nation zu Boden!" Und ein weiterer: "Ich habe eine Regierung zu Fall gebracht!" Solcher Dinge rühmen sich die Menschen, auf solche Dinge sind sie stolz! Liebe - Rechtschaffenheit - überall werden sie gerügt, und Eintracht und Hingabe an die Wahrheit werden verachtet.

+2:6

Der Glaube der Gesegneten Schönheit ruft die Menschheit auf zu Sicherheit und Liebe, zu Freundschaft und Frieden. Er hat seine Stiftshütte auf den Höhen der Erde errichtet und läßt seinen Ruf an alle Völker ergehen. Seid euch daher des Wertes dieses kostbaren Glaubens bewußt, o ihr, die ihr Gott liebt. Gehorcht seinen Geboten, wandelt auf seinen Wegen, die gerade sind, und weist die Menschen darauf hin. Erhebt eure Stimme und singt das Lied des Königreiches. Verbreitet die Lehren und Gebote des liebenden Herrn in allen Landen, auf daß diese Welt in eine andere verwandelt und diese dunkle Erde mit Licht überflutet werde und der tote Körper der Menschheit auferstehe und lebe, auf daß jede Seele nach Unsterblichkeit trachte durch den heiligen Odem Gottes.

+2:7

Bald werden eure schnell dahinfliehenden Tage vergangen sein, und Ruf und Reichtum, Bequemlichkeit und Freude, die dieser Schutthaufen von Welt bereitet hat, werden spurlos verschwunden sein. Ruft deshalb die Menschheit vor Gott und ladet sie ein, dem Beispiel der himmlischen Versammlung zu folgen. Seid der Waise ein liebevoller Vater, eine Zuflucht dem Hilflosen, ein Schatz dem Armen, dem Kranken Heilung. Seid jedem Opfer der Unterdrückung ein Helfer, ein Beschützer dem Beladenen. Denkt zu allen Zeiten daran, wie ihr jedem Glied der Menschheit einen Dienst erweisen könnt. Schenkt Abneigung und Zurückweisung, Geringschätzung, Feindseligkeit und Ungerechtigkeit keine Beachtung: tut das Gegenteil. Seid aufrichtig freundlich, nicht nur dem Anschein nach. Jeder der Geliebten Gottes sollte seine Aufmerksamkeit auf das Folgende richten: des Herrn Segen für die Menschen, des Herrn Gnade zu sein. Er sollte jedem, dem er begegnet, einen guten Dienst erweisen und ihm von Nutzen sein. Er sollte jedermanns Charakter veredeln und den Gedanken der Menschen eine neue Richtung geben. So wird das Licht der göttlichen Führung leuchten und der Segen Gottes die ganze Menschheit umfangen, denn Liebe ist Licht, wo immer sie wohnt, und Haß ist Finsternis, wo immer er nistet. O Freunde Gottes! Möge das verborgene Mysterium offenbart und das geheime Wesen aller Dinge enthüllt werden. Strebet danach, das Dunkel auf immer und ewig zu bannen.

Second Tablet to the Committee of Universal Peace at The Hague

Star of West Vol.11 No 17 p.288
+3:1

To the Honorable Executive Committee of Universal Peace

He Is God !
O ye honourable Members !
+3:2

Your kind answer to my letter, dated 12th of June 1920, has arrived and greatly pleased me. Praise be unto God, that it was indicative of the fact that your motive and purpose is identical with that of ours. Its contents also consisted of spiritual susceptibilities which are expressive of sincere love.

+3:3

We, Bahá'ís, feel great affection towards that honorable Assembly. Therefore have we sent two honoured persons¹ to that highly esteemed Assembly as a sign of strong relationship.

¹ Ibn-i-Asdaq und Ahmad Yazdání
+3:4

Today the most important problem in the affairs of the world of humanity is that of the Universal peace, which is the greatest means contributing to the very life and happiness of mankind. Without this most luminous reality it is impossible for humanity to attain to actual comfort and proficiency. Nay rather, shall it have, day by day, some additional misfortune and tragedy.

+3:5

This last terrible war has clearly proved that the modern war implements are beyond the endurance of the world of humanity. The future cannot, however, be compared with the past, because the arms and war implements of the past were very simple, while the modern armaments can, in a short time, exterminate the whole of the human world, and so they are beyond the endurance of mankind.

+3:6

Therefore, Universal Peace is, in this age, like unto the sin which is the cause of life to all beings. So it is of prime importance and incumbent upon every individual to strive for this most significant end. Now with oneness of goal we, I mean ye and we, will stive with all our strength, sacrificing (in this path) property, life and family.

+3:7

As ye may no doubt have heard, thousands of souls (Bahá'ís) have, in Persia, sacrificed their lifes in this path and thousand of homes have undergone destruction. Notwithstanding this, we have not yielded to disappointment. Up to the present, we have been striving and every day we are putting forth a new effort. Why? Because peace-loving is not only one of the products of the intellect, but also it is a belief based on faith and it is one of the eternal principles of God. Therefore, we are striving with all our energy, disregarding our self-interests, rest, comfort and even the management of our own affairs of life, because we consider this noble motive as the very foundation of the religions of God. It is a service to the Kingdom of God. It contributes to the attainment of eternal life and is the greatest means for the entrance into the Kingdom of the Merciful.

+3:8

Today the advantages of Universal Peace are to mankind well proved and the disadvantages of war are similarly unquestioned by all. But in this problem, knowledge alone is not sufficient. An executive force is needed so that it - Universal Peace - may become established throughout the world. Ye should be thinking to draw help from some spiritual executive force so that this lofty ideal may be brought out from the stage of imagination into that of realization. And it is evedent that this most great aspiration cannot be attained through the ordinary emotions. Nay rather, it needs intense spiritual feelings to turn it from potentiality to actuality.

+3:9

Almost all the people of the earth know that amiability of character is praiseworthy and desirable and that badness of character is despised and distasteful. Similarly do they know, that justice and fairness is agreeable and attractive, and cruelty and tyranny is abominable and repulsive. Notwithstanding this, all the people, with the exception of a limited number, are lacking in praiseworthy character and justice.

+3:10

Therefore, they are in need of a spiritual force and higher sentiments to improve their character. Our firm belief is that the executive power for this great problem is the Power of the Word of God and the confirmations of the Holy Spirit.

+3:11

We feel great relationship, love and union with ye. With heart and soul, we are longing for the day when the pavillon of the oneness of the world of humanity may be pitched in the world and the banner of Universal Peace may wave upon all horizons. Therefore the oneness of the world of humanity should be established in order that the edifice of Universal Peace may be erected.

+3:12

That honourable Assembly, which is the well-wisher of the world of humanity, is highly honoured by all Bahá'ís. Therefore do we ask ye to kindly accept our highest respects and to keep us always informed of the progress of the Universal Peace in Europe. Constant communication should be carried on between us.

(Signed) Abdu'l-Bahá

(translated into English by Azizullah Khan S. Bahadur, Haifa, Mount Carmel, Palestine, July 12 1920)

Abdu'l-Bahás Brief an den Überbringer des Tablets an die Zentralorganisation

+4:1

O Diener an der Schwelle Bahá'u'lláhs!¹ Dein Brief vom 14. Juni 1920 ist angekommen. Ein Brief von einigen Mitgliedern des Friedensausschusses ging ebenfalls zu; ihnen wurde eine Antwort erteilt. Händige sie ihnen aus.

¹ Mirza Ahmad Khán Yazdáni (1891 - 1977), der Überbringer von Abdu'l-Bahás Brief an die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden im Haag; vgl. Briefe und Botschaften Kap. 228/1 bis 228/6

+4:2

Es ist klar, daß dieses Treffen nicht das ist, wofür es gehalten wird, ist es doch außerstande, die Angelegenheiten so zu ordnen, wie es richtig und nötig wäre. Wie dem auch sei: Die Sache, um die man sich bemüht, ist von höchster Wichtigkeit. Das Treffen im Haag sollte so viel Macht und Einfluß haben, daß sein Wort auf die Regierungen und Nationen wirkt. Weise die verehrten dort versammelten Mitglieder darauf hin, daß die vor dem Krieg abgehaltene Haager Konferenz den Zaren von Rußland zum Präsidenten hatte und daß ihre Mitglieder Männer von höchstem Rang waren. Dennoch hat das diesen schrecklichen Krieg nicht verhindert. Wie wird es weitergehen? In der Zukunft wird mit Sicherheit ein weiterer Krieg ausbrechen, schrecklicher als der letzte. Wahrlich, daran gibt es keinerlei Zweifel. Was kann das Treffen im Haag ausrichten?

+4:3

Aber die von Bahá'u'lláh niedergelegten Grundsätze verbreiten sich Tag für Tag. Übergib ihnen die Antwort auf ihren Brief, zeige ihnen die größte Liebe und Güte; dann überlasse sie ihren eigenen Angelegenheiten. Auf jeden Fall solltest du ihr Wohlwollen erlangen, und wenn sie zustimmen, kannst du meinen ausführlichen Lehrbrief, der bereits ins Englische übersetzt ist, drucken lassen und verbreiten.

+4:4

Was die Esperantisten betrifft, so pflege mit ihnen Umgang. Wann immer du unter ihnen jemanden aufnahmebereit findest, überbringe ihm den Duft des Lebens. Sprich bei allen Treffen über die Lehren Bahá'u'lláhs; denn das führt heutzutage in den westlichen Ländern zum Erfolg. Und wenn sie Fragen stellen über deinen Glauben an Bahá'u'lláh, so antworte, daß wir Ihn als der Welt höchsten Lehrer und Erzieher in diesem Zeitalter betrachten. Stelle sodann klar heraus und erkläre im einzelnen, daß diese Lehren über den Weltfrieden und andere Themen durch Bahá'u'lláhs Feder schon vor fünfzig Jahren offenbart wurden, daß sie bereits in Persien und Indien veröffentlicht und über die ganze Welt verbreitet sind. Anfangs standen alle der Idee des Weltfriedens skeptisch gegenüber und betrachteten sie als Unmöglichkeit. Sprich des weiteren über Bahá'u'lláhs Größe, über die Ereignisse in Persien und der Türkei, über Bahá'u'lláhs erstaunlichen Einfluß, über den Inhalt Seiner an alle Herrscher gerichteten Sendschreiben und über deren Erfüllung. Sprich auch über die Verbreitung der Bahá'í-Sache. Arbeite mit dem Ausschuß für den Weltfrieden im Haag so eng wie möglich zusammen und erweise ihnen alle Höflichkeit.

+4:5

Es zeigt sich, daß die Esperantisten aufnahmebereit sind; du kennst ihre Sprache und bist darin bewandert. Setze dich auch mit den Esperantisten in Deutschland und anderswo in Verbindung. Das Schrifttum, das du verbreitest, sollte sich ausschließlich mit den Lehren beschäftigen. Die Verbreitung anderer Schriften ist derzeit nicht ratsam. Es ist meine Hoffnung, daß die göttlichen Bestätigungen dich ständig unterstützen...

+4:6

Sei nicht traurig über die Gleichgültigkeit und Kälte der Haager Versammlung. Setze dein Vertrauen in Gott. Wir hoffen, daß die Esperanto-Sprache in Zukunft machtvoll auf das Volk wirkt. Du hast jetzt den Samen gesät. Sicherlich wird er wachsen. Sein Wachstum hängt von Gott ab.

Historischer Hintergrund zum Tablet an die Zentralorganisation im Haag

Ulrich Gollmer

"Dieser letzte Krieg hat der Welt und dem Volk bewiesen, daß Krieg Vernichtung ist, Weltfrieden dagegen Aufbau. Krieg ist Tod, Frieden hingegen Leben. Krieg ist Raubsucht und Blutgier, Frieden indessen Wohltat und Menschlichkeit." So leitet Abdu'l-Bahá wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Seine Antwort auf einen Brief des Exekutivausschusses der "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" ein. Beide, Autor und Adressat dieses Schreibens, teilen sich in die grundlegende Einsicht, "daß es heutigen Tages nichts Wichtigeres auf der Welt als den Weltfrieden gibt".

Abdu'l-Bahá verweist jedoch darauf, daß Frieden als isoliertes Ziel nicht zu realisieren ist; Frieden - wirklicher, dauernder Frieden - ist nur in einem geistig inspirierten und gehaltenen Gesamtkonzept zu haben. Quelle und Impulsgeber eines solchen Konzepts ist Ihm die Offenbarung Bahá'u'lláhs als umfassende religiöse Neuorientierung einer Zeit des Umbruchs in allen Aspekten menschlichen Lebens. Folgerichtig ist in diesem Brief das Motiv des Friedens aufs engste verwoben mit den Prinzipien einer Religion, welche nicht nur die individuelle Tugend der Nächstenliebe wieder belebt, sondern auch neue gesellschaftliche Maßstäbe setzt: die "Einheit der Menschheit" und die Verwirklichung der weltumfassenden Harmonie des "Größten Friedens" in einer der Gerechtigkeit verpflichteten globalen Ordnung. So kann dieser Brief Abdu'l-Bahás, dessen "weitreichende Bedeutung" Shoghi Effendi ausdrücklich hervorhebt, (Gott geht vorüber, S. 350) durchaus als tragfähiges Modell einer zukunftsorientierten, friedenstiftenden Beziehung zwischen Religion und Politik verstanden und studiert werden.

Abdu'l-Bahá, der Autor des Briefes

Abdu'l-Bahá (1844-1921) arab. "Diener der Herrlichkeit", mit bürgerlichem Namen `Abbas Effendi`.¹

¹ Literatur: Hasan M. Balyuzi, "Abdu'l-Bahá, Der Mittelpunkt des Bündnisses" Bahá'u'lláhs, 2 Bde., Hofheim-Langenhain 1983/84

Er ist der Sohn Bahá'u'lláhs (1817-1892), des Stifters der Bahá'í-Religion, von Ihm testamentarisch zum Führer der Gemeinde und zum autorisierten Ausleger Seiner Schriften ernannt.

Die Bahá'í-Religion, 1844 in Persien entstanden, versteht sich als bislang letzte Entwicklungsstufe in einer unendlichen Folge von Offenbarungsreligionen, welche die gesamte Entwicklungsgeschichte der Menschheit formend begleiten. Irdisches Ziel und heilsgeschichtlicher Auftrag dieser jüngsten Gottesoffenbarung ist die schließliche Realisierung des seit alters verheißenen "Reiches Gottes auf Erden", zu dessen wesentlichen Bestandteilen die Einheit der Menschheit in allen Aspekten des Denkens und Handelns gehört, bei gleichzeitiger Bewahrung der Mannigfaltigkeit des kulturellen Erbes und individuellen Ausdrucks. Alle Lehren Bahá'u'lláhs, die Abdu'l-Bahá in dem hier abgedruckten Brief anführt, dienen der Verwirklichung dieses Ziels. Diese sozialen Lehren - nicht zuletzt die Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter, sozialer Gerechtigkeit und bestmöglicher Erziehung aller - und der Anspruch auf eine Gottesoffenbarung nach Muhammad, fanden rasch die erbitterte Feindschaft der politischen und religiösen Gewalten des Iran und des Osmanischen Reiches. Die Anhänger der neuen Lehre wurden unbarmherzig verfolgt, gefoltert, zu Tausenden getötet, unter ihnen auch der Báb, der Herold Bahá'u'lláhs und Träger einer eigenen religiösen Sendung. In der Islamischen Republik Iran haben diese Verfolgungen in den letzten Jahren einen neuen Höhepunkt erfahren;¹

¹ vgl. dazu "Die Bahá'í im Iran, Dokumentation der Verfolgung einer religiösen Minderheit", herausgegeben vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá'í in Deutschland, Hofheim-Langenhain 41985. Zur Geschichte der Verfolgung im Iran siehe die Beiträge von Amin Banani und Friedo Zölzer in Bahá'í-Briefe 48, 13. Jg. 1984

Bahá'u'lláh, der unablässig lehrte, "daß Religion zu Freundschaft und Liebe führen muß", lebte bis zu Seinem Tode im Jahre 1892 in Kerkerhaft und Verbannung. Seit 1852 teilte Abdu'l-Bahá, damals knapp achtjährig, mit Seinem Vater Verbannung und Haft, aus der Er erst 1908 infolge einer allgemeinen Amnestie nach der Jungtürkischen Revolution freikam. Zwischen 1911 und 1913 bereiste Er Ägypten, Europa und Nordamerika, um die von Seinem Vater gestiftete Religion zu verbreiten und angesichts drohender internationaler Konflikte für den Frieden zu werben.¹

¹ Eine kleine Auswahl Seiner Schriften und Ansprachen zum Frieden findet sich in Peter Spiegel (Hg.), Gedanken des Friedens. Die Reden und Schriften von Abdu'l-Bahá für eine neue Kultur des Friedens, Wien 1985. Von den religiös-philosophischen Werken Abdu'l-Bahás liegen bislang in deutscher Übersetzung vor: Ansprachen in Paris (61983), Beantwortete Fragen (31977), Brief an Forel (21983), Das Geheimnis göttlicher Kultur (1975), sämtlich erschienen im Bahá'í-Verlag, Hofheim-Langenhain.

1920 wurde Er von König Georg V. von England für Seine humanitären Dienste während des Ersten Weltkriegs geadelt. Die Beisetzung Abdu'l-Bahás in Haifa im Jahre 1921 wurde zur bislang volkreichsten Demonstration gemeinsamer Betroffenheit und Trauer sämtlicher Religionen und Bevölkerungsgruppen Palästinas.

Der Adressat: Die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden

Die "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" eine private Initiative engagierter Verfechter des Friedens mitten im Ersten Weltkrieg, wurde 1915 im Haag gegründet.¹

¹ Diese knappe Zusammenfassung beruht vor allem auf folgenden Quellen: Zentralorganisation für einen dauernden Frieden, Ein dauernder Friede. Offizieller Kommentar des Mindestprogramms, Haag o.J. (um 1916); Madeleine Z. Doty, The Central Organisation for a Durable Peace (1915-1919), Its History, Work and Ideas, Diss. Université de Genève 1945; De Jong van Beek en Donk, Haager Erinnerungen, in: Friedens-Warte, 38. Jg. 1938, S. 67-70; Ludwig Quidde, Der deutsche Pazifismus während des Weltkrieges 1914-1918, Aus dem Nachlaß herausgegeben von Karl Holl und Helmut Donat, Boppard 1979, S. 65-75; Hans Wehberg, Zur Methode der Vorbereitung des Völkerbundes während des Weltkrieges, in: Friedens-Warte, 39. Jg. 1939, S. 182-187; Die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden, in: Friedens-Warte 5, 44. Jg. 1944, S. 315-323; ders., Zur Geschichte der "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden", in: Friedens-Warte, 46. Jg. 1946, S. 42-44

Ihr gehörten Vertreter von Friedensgruppen und Persönlichkeiten aus neutralen und kriegführenden Staaten an. Die Initiative zu dieser Organisation war von neutralem Boden ausgegangen; Friedensgruppen in der Schweiz und in den Niederlanden regten bereits im Herbst 1914 die Schaffung einer übernationalen Zentralstelle an. Diese sollte sich in allen Staaten auf nationale Organisationen stützen können. Nach schwierigen Sondierungsgesprächen konnte durch die energische Vorarbeit des Nederlandsche Anti-Oorlog Raads¹ schließlich vom 7.-10. April 1915 eine konstituierende Versammlung einberufen werden.²

¹ Diese Vereinigung niederländischer Kriegsgegner war im Oktober 1914 gegründet worden, um die Friedensarbeit in den Niederlanden zu koordinieren und Kontakte zu gleichgesinnten Gruppen anderer Länder, besonders in den kriegführenden Staaten, zu unterhalten. Der Anti-Oorlog Raad setzte sich zum Ziel, durch konkrete Reformen die Wahrscheinlichkeit künftiger Kriege zu verminderen. Zu diesem Zweck wurde ein fünf Punkte umfassendes Minimalprogramm entwickelt: 1. Keine Annexion oder Gebietsabtretung ohne die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung. 2. Liberalisierung des Handels mit den Kolonien. 3. Weiterführung und Ausbau der Arbeit der Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907. 4. Abrüstung. 5. Die Außenpolitik muß parlamentarischer Kontrolle unterworfen werden. Vgl. Harold Josephson (Hg.), Biographical Dictionary of Modern Peace Leaders, Westport 1985, S. 477f

² Die Beratungen sind festgehalten in den Comte rendu de la Réunion internationale, 7-10 avril 1915, La Haye, im Haag 1916. Zu den Gründungsmitgliedern zählt auch Auguste Forel, der Empfänger eines der bedeutendsten Sendschreibens aus der Feder Abdu'l-Bahás; siehe Brief an Forel, Hofheim-Langenhain 21983. Über die Gründung der Zentralorganisation berichtet Forel in seiner Autobiographie Rückblick auf mein Leben, Zürich 1935, S. 264ff

Man verständigte sich auf die Einsetzung eines internationalen Komitees, dem zwei große Aufgabenbereiche übertragen wurden: Einmal, aus dem unmittelbaren praktischen Bedarf heraus geboren, eine Art Friedenslogistik, d.h. die Zusammenfassung und Koordination der vereinzelten am Frieden interessierten Kräfte. Die Versammlung war aber nicht nur beseelt von dem Wunsch, den Krieg zu beenden; ein künftiger Frieden sollte sicherer, dauerhafter werden. Diesem Ziel entsprach der zweite Auftrag an das Komitee der Zentralorganisation: Die Vorbereitung einer großen internationalen Studienkonferenz, welche die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden erforschen und ausarbeiten sollte. Man sah sich hier in der Tradition der beiden großen Friedenskonferenzen im Haag, verpflichtet dem Gedanken des internationalen Rechts und der Schiedsgerichtsbarkeit. Entsprechend suchte man auch den Anschein pazifistischen Sektierertums zu vermeiden, um Persönlichkeiten aus dem parlamentarisch-politischen Bereich, vor allem aber auch die angesehensten Völker- und Staatsrechtler zu gewinnen; für die Propagierung der Ziele begnügte man sich mit einem Minimalprogramm, statt ein utopisches ideales Friedensprogramm zu entwerfen.

Man kam überein, das Haager Büro des Anti-Oorlog Raads, ergänzt durch zusätzliche Mitglieder aus zwölf weiteren Staaten, als Exekutivausschuß der Zentralorganisation einzusetzen. Zu den Mitgliedern des Exekutivausschusses zählten

Thorvald Stauning (1873-1942) :

(ein führender Sozialdemokrat Dänemarks, 1924-26 und 1929-42 dänischer Ministerpräsident.)

Prof. Dr. Heinrich Lammasch (1853-1920) :

(Mitglied des österreichischen Herrenhauses, seit dem 27. 10. 1918 letzter k. k. Ministerpräsident, nachdem seine Ernennung im Sommer 1917 am massiven Widerstand des deutschen Militärs gescheitert war. Lammasch sondierte im Ersten Weltkrieg erfolglos einen Verständigungsfrieden mit dem Westen; er vertrat bei den Friedensverhandlungen den Gedanken des Völkerbunds und der österreichischen Neutralität. Mitglied des ständigen Schiedshofes im Haag.)

Prof. Dr. Walther Schücking (1875-1935) :

(Jurist und Politiker mit maßgeblichem Anteil an der organisierten Friedensbewegung. 1920 - 1928 Mitglied des deutschen Reichstags. 1930 Richter am ständigen Internationalen Gerichtshof.)

Jhr. Dr. Benjamin de Jong van Beek en Donk (1881-1948) :

(Friedensaktivist, von 1907 - 1916 im niederländischen Justizministerium tätig. De Jong van Beek en Donk war Sekretär des Anti-Oorlog-Raads und Generalsekretär der Zentralorganisation für einen dauernden Frieden.)

und Dr. Hendrik Coenraad van Dresselhuys (1870-1926) :

(Ministerialdirektor im niederländischen Justizministerium, Präsident des Exekutivausschusses.)

Die weiteren Mitglieder dieses Gremiums waren:

Axel Theodor Baron Adelswärd (1860-1929) : 1911-1914 schwedischer Finanzminister

Prof. R. Altamire (Spanien)
Fannie Fern Andrews (1867-1950, USA)

Goldsworthy Lowes Dickinson (1862-1932, Großbritannien)

Monsignore Dr. Alexander Giesswein (1856-1923, Ungarn :

(vermutlich identisch mit dem Prälat Alexander Giesswein, der 1913 in Budapest mit Abdu'l-Bahá zusammengetroffen war)

Prof. Dr. Halvdan Koht (1873-1965, 1935-1941 norwegischer Außenminister)

Prof. Dr. Achille Loria (Italien)
Paul Otlet (1868-1944, Belgien)

Joseph Anton Scherrer-Füllemann (1847-1924, Schweiz)

Zweifellos war die Zentralorganisation für einen dauernden Frieden die bedeutendste private Friedensinitiative internationalen Zuschnitts während des Ersten Weltkriegs; allein daß es möglich war, mitten im Krieg, unter den mißtrauischen Augen der kriegführenden Staaten, ein internationales Forum über die Bedingungen des Friedens und der Friedenssicherung aufzubauen, ist eine bleibende Leistung. Trotzdem konnte die Zusammenfassung der nationalen Friedensbewegungen nicht im erhofften Umfang verwirklicht werden. Zwar ließ sich die Basis der Organisation in den neutralen Ländern erfreulich ausweiten;¹

¹ Allein in Schweden traten etwa 110 000 Personen der Organisation bei, etwa 1100 Organisationen erklärten sich zur Zusammenarbeit bereit; siehe Doty a.a.O., S. 79

doch in den kriegführenden Staaten tat man sich erwartungsgemäß schwerer. Die Friedensgruppen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens ließen sich nur zu einem kleinen Teil zur Zusammenarbeit bewegen. Frankreich, Rußland und Japan waren überhaupt nicht in der Zentralorganisation vertreten. Der Einfluß auf die öffentliche Meinung blieb deshalb recht bescheiden und konnte sich nicht gegen die offizielle Kriegspropaganda behaupten.

Infolge unterschiedlicher Standpunkte in den nationalen Friedensgruppen (Etwa in der Bewertung der Kriegsschuldfrage) kam es auch nie zu der angestrebten internationalen Studienkonferenz. Statt dessen konnten fünf Studienkomissionen realisiert werden, die zu zentralen Fragen der Friedensorganisation Denkschriften verfaßten.¹ Ihre Ergebnisse übten einigen Einfluß auf den späteren Völkerbund aus. Nach der Bildung des Völkerbunds löste sich die "Zentralorganisation" auf.

¹ Siehe dazu die Rapports des Commissions internationales d'Etudes: 1. Zur Frage von Annexionen: Avant-Projet d'un traité général relatif aux transfers de territoires, Rapport présenté par M. le baron Theodor Adelswärd 2. Zum Problem der Minderheiten: Avant-Projet d'un traité général relatif aux droits des minorités nationales, Rapport présenté par M. Halvdan Koht 3. Zur Vorbereitung der Friedenskonferenz: Développement de l'oeuvre de La Haye. Organisation de la Conférence de la Paix, Rapport présenté par M. Chr. L. Lange 4. Zur Frage einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit: La limitation internationale des Armements, Rapport présenté par M. le général e.r. W.A.T. De Meester 5. Zur Rüstungsbegrenzung: 6. Demokratische Kontrolle der auswärtigen Politik. Nichtigkeit geheimer Verträge. Bericht von J. Scherrer-Füllemann; sämtlich erschienen im Haag 1917. Ergänzende Berichte und Studien, die nicht in einer der fünf Komissionen erarbeitet wurden, sind publiziert in den Recueil de Rapports sur les différents points du Programme Minimum, 4 Bde., im Haag 1916-18

Vorgeschichte und Begleitumstände des Briefwechsels

Wie kam es nun zu vorliegendem Brief Abdu'l-Bahás an die Zentralorganisation? Aus Presseberichten hatte ein junger iranischer Bahá'í, Ahmad Yazdání¹ von der Gründung der "Zentralorganisation für einen dauernden Frieden" erfahren. In einem französisch verfassten Schreiben an diese Organisation legte er die Prinzipien der Bahá'í-Religion dar und verwies auf Abdu'l-Bahá. Ein Brief der Zentralorganisation vom 11. Februar 1916 an Abdu'l-Bahá erreichte diesen, bedingt durch die Kriegswirren, jedoch erst nach Ende des Ersten Weltkriegs. Dieser Brief liegt uns nicht vor, er dürfte aber mit großer Wahrscheinlichkeit das Mindestprogramm der Zentralorganisation und dessen offiziellen Kommentar enthalten haben.² Briefe früheren Datums, auf die in diesem Schreiben offenbar Bezug genommen wurde, erreichten Abdu'l-Bahá nicht.

¹ Mirza Ahmad Khán Yazdání (1891-1977), langjähriges Mitglied des Nationalen Geistigen Rats der Bahá'í im Iran, ein ergebener Lehrer des Glaubens, umfangreich publizistisch tätig. Siehe `The Bahá'í World`, Bd. XVII, Haifa 1981, S. 438ff

² Dafür spricht, daß in der Erstveröffentlichung des Antwortschreibens Abdu'l-Bahás in englischer Übersetzung als eigenständige Publikation (Bahá'í Publishing Society, Chicago 1920) die innere Umschlagseite - die Namen und Funktionen der Mitglieder des Vollzugsausschusses der Zentralorganisation - inhaltlich und graphisch weitgehend identisch ist mit der entsprechenden Seite des offiziellen Kommentars.

Das Antwortschreiben Abdu'l-Bahás trägt das Datum vom 17. Dezember 1919.¹

¹ Die erste englische Übersetzung dieses Sendschreibens ging am 24. Juli 1920 bei der Redaktion des Star of the West ein und wurde erstmals am 1. August 1920 in dieser Zeitschrift veröffentlicht. Ein vollständiger Wiederabdruck erfolgte in The Bahá'í World, Bd. XI, Haifa 1976, S. 29-37. Dem vorliegenden deutschen Text liegt eine revidierte englische Übersetzung zugrunde, teilweise veröffentlicht in Briefe und Botschaften von Abdu'l-Bahá, Kap.1 und Kap.227.

Ibn-i-Asdaq¹

¹ Mirza Alí-Muhammad Ibn-i-Asdaq (gest. 1928), ein herausragender Bahá'í-Lehrer, von Bahá'u'lláh zur "Hand der Sache Gottes" ernannt. Siehe Hasan M. Balyuzi, Eminent Bahá'ís in the Time of Bahá'u'lláh, Oxford 1985, S. 171ff

und Ahmad Yazdání sollten es im Auftrag Abdu'l-Bahás im Haag überreichen. Ahmad Yazdání, den Abdu'l-Bahá eigens aus dem Iran zu sich gerufen hatte, verließ Haifa im Mai 1920. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Zentralorganisation bereits aufgelöst. Wie Ahmad Yazdání in seinen Erinnerungen¹

¹ Ahmad Yazdání, Sharh-i-Irsál-i-Lawh-i-Láhih, in: Sál-Námiy-i-Javánán-i-Bahá'íy-i-Irán, 121/122 Badí (1964/66), Tihrán, Bahá'í Publishing Trust, 122 B.E. (1965/1966), S. 153-159; ders. Masábih-i-Hidáyat, Bd. 9, S. 352-389

mitteilt, gelang es jedoch, Kontakt zu drei Mitgliedern des ehemaligen Exekutivausschusses aufzunehmen¹

¹ Laut Yazdání der ehemalige Vorsitzende, dessen Stellvertreter und der Sekretär der Zentralorganisation. Leider werden die Namen nicht genannt, aber es handelt sich dabei wohl um Dr. Hendrik Coenraad Dresselhuys (Vorsitzender) und um Dr. Benjamin de Jong von Beek en Donk (Sekretär).

und ihnen das Schreiben Abdu'l-Bahás zu übergeben. Es folgte ein weiterer Briefwechsel, während dessen die Bahá'í-Delegation in Den Haag blieb. Ibn-i-Asdaq und Ahmad Yazdání erhielten ein Schreiben mit Datum vom 12. Juni 1920 das sie an Abdu'l-Bahá weiterleiteten. Dieser antwortete am 17. Juli 1920 (abgedruckt in Star of the West, Bd. 11, Nr. 17, vom 19. Januar 1921, S. 288f) wiederum durch persönliche Übermittlung von Ibn-i-Asdaq und Ahmad Yazdání.

Im Begleitbrief Abdu'l-Bahás an Ahmad Yazdání zum zweiten Brief wird Seine Einschätzung der "Zentralorganisation" und der prekären Zeitumstände deutlich: "Es ist klar, daß dieses Treffen nicht das ist, wofür es gehalten wird, ist es doch außerstande, die Angelegenheit so zu ordnen, wie es richtig und nötig wäre. Wie dem auch sei: Die Sache, um die man sich bemüht, ist von größter Wichtigkeit. Das Treffen im Haag sollte so viel Macht und Einfluß haben, daß sein Wort auf die Regierungen und Nationen wirkt. Weise die verehrten dort versammelten Mitglieder darauf hin, daß die vor dem Krieg abgehaltene Haager Konferenz den Zaren von Rußland zum Präsidenten hatte und daß ihre Mitglieder Männer von höchstem Rang waren. Dennoch hat das diesen schrecklichen Krieg nicht verhindert. Wie wird es weitergehen? In der Zukunft wird mit Sicherheit ein weiterer Krieg ausbrechen, schrecklicher als der letzte. Wahrlich, daran gibt es keinerlei Zweifel. Was kann das Treffen im Haag ausrichten?" (Briefe und Botschaften 228:2)

Die Aktualität des Briefs

Diese realistische Einschätzung läßt die wesentlichen Aspekte des Friedensmodells Abdu'l-Bahás, wie Er es in Seinem Brief an die "Zentralorganisation" formuliert, noch schärfer hervortreten: Bei aller Übereinstimmung im Grundanliegen des Friedens verweist Abdu'l-Bahá auf zwei wesentliche Versäumnisse zeitgenössischer Friedenspolitik: auf die vernachlässigten geistigen Bedingungen des Friedenswunsches und die notwendigen institutionellen Voraussetzungen eines wirklich dauerhaften Friedens - Universalität der Mitgliedschaft und Durchsetzbarkeit der Entscheidungen -, die beide im neuentstandenen Völkerbund fehlten. Abdu'l-Bahá läßt keinen Zweifel daran, daß eine Weltfriedensordnung notwendig ist, der die Begrenzungen des Völkerbunds nicht mehr anhaften. Auch das System der Vereinten Nationen hat für diese beiden Aspekte noch keine Lösung gebracht.

Der historische Realismus Abdu'l-Bahás schöpft seine Kraft aus der visionären Gewißheit des zukünftigen Weltfriedens. So schreibt Er bereits 1875 mit Bezug auf die angestrebte Friedensordnung: "Der Tag wird sicher kommen, an dem ihr klares Licht Erleuchtung über die gesamte Menschheit gießen wird." (Das Geheimnis göttlicher Kultur, Oberkalbach 1973, S. 64)

Menschliches Streben allein wird diesen Frieden nicht erreichen; es ist zu begrenzt, zu sehr verhaftet in partikularen Interessen. Ein dauerhafter Frieden ist letztlich nur möglich als Geschenk göttlicher Gnade: "Andere Mächte sind zu schwach; sie sind unfähig, dies zu vollbringen." (Promulgation of Universal Peace, Wilmette 21982, P.12)

Doch dieser Frieden fällt nicht vom Himmel; die göttliche Gnade will umgesetzt sein in menschliches Handeln: "Eifer, unermüdlicher Eifer ist nötig. Nur unbezähmbare Entschlußkraft kann das Werk vollbringen." (Das Geheimnis göttlicher Kultur, a.a.O.; vgl. auch Promulgation, S.121)

In seiner Botschaft zum internationalen Jahr des Friedens 1985 greift das Universale Haus der Gerechtigkeit, das oberste Führungsgremium der Bahá'í-Weltgemeinde, die Grundaussagen Abdu'l-Bahás auf. Ausgehend von der Feststellung, daß der "Weltfriede nicht nur möglich, sondern unausweichlich" ist (Die Verheißung des Weltfriedens, Hofheim-Langenhain 21985, S.7), verweist es die Menschheit erneut auf die Entscheidung, die angesichts des modernen Vernichtungspotentials drängender ist denn je: "Ob der Friede erst nach unvorstellbaren Schrecken erreichbar ist, heraufbeschworen durch stures Beharren der Menschheit auf veralteten Verhaltensmustern, oder ob er heute durch einen konsultativen Willensakt" herbeigeführt wird, das ist die Wahl, vor die alle Erdenbewohner gestellt sind. Zu diesem kritischen Zeitpunkt, da die hartnäckigen Probleme der Völker zur gemeinsamen Sorge aller werden, wäre das Versäumnis, der Flut von Konflikt und Unordnung zu wehren, gewissenlos und unverantwortlich. Eine von allen Völkern gemeinsam getragene Weltfriedensordnung, vertraglich vereinbart, institutionell gesichert, mit Schiedsinstanzen und einer Exekutive, die mit realer Macht ausgestattet sind - dieser Vorschlag Abdu'l-Bahás ist heute dringlicher denn je. "Von ganzem Herzen appellieren wir an die Staatsmänner, diese günstige Stunde zu nutzen und unwiderrufliche Schritte zur Einberufung dieser Weltversammlung zu unternehmen. Alle Kräfte der Geschichte drängen die Menschheit zu dieser Tat, die für alle Zeiten den Anbruch ihrer langerwarteten Reife kennzeichnen wird... Diese machtvolle Versammlung ist längst überfällig." (a.a.O., S. 33)

Ulrich Gollmer
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Abdu'l-Bahá DER WELTFRIEDENSVERTRAG

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